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25.03.2022 Kategorie: Gemeinde

Eine Geschichte über das Aufhören

Im Wort „Aufhören“ im Sinne von etwas beenden, mit etwas aufhören, steckt noch eine andere Bedeutung: Wer aufhört, hört auf jemanden oder etwas. Hören im Sinne von Horchen, Lauschen.

Das ist ein Hinhören, das nur bei dem ist, was es tut. Wie einer des Nachts aufwacht und glaubt, ein Geräusch gehört zu haben. Dann wird er lauschen, ob da noch mehr sei und wenn, welcher Art dieses Geräusch ist. Davon wird seine Reaktion abhängen. Was aber ist, wenn das Geräusch oder überhaupt das, was aufschrecken lässt, falsch gedeutet wird?

Es ist eine alte Geschichte: Da glaubt einer sich auf dem richtigen Weg. Zweimal hatte er sich dem Ruf eines Königs, an seinen Hof zu kommen, widersetzt. Beim dritten Ruf, ausgesprochen durch Sendboten, ging er mit. War ihm doch im Traume Gott erschienen und hatte ihm gesagt: „Sind dich zu rufen diese Männer gekommen, mach dich auf, geh mit ihnen. Aber nur die Rede, die ich dir reden werde, die kannst du tun.“ Denn Reden sollte er, dort am Hof. Einen Fluch über die Feinde des Königs aussprechen. Dieser Mann stand im Ruf, über besondere Kräfte zu verfügen. So sattelte er am Morgen seine Eselin und machte sich auf den Weg zum König. Und wie er da so ritt, da scheute auf einmal seine Eselin. Sie bog vom Wege ab und ging ins Feld. Alle Versuche, sie wieder auf den Weg zurückzuführen, scheiterten. Der Mann wurde zusehends wütender auf seine Eselin, schließlich schlug er sie. Immer heftiger wurden seine Schläge und Tritte. Da hörte er auf einmal, wie die Schmerzensschreie seiner Eselin zu ihm sprachen. Er verstand, warum sie vom Wege abgewichen war. Ein Engel versperrte den Weg. Und dann sah auch er den Engel. Keine freundlich einladende, begleitende Gegenwart. Vielmehr eine klar Einhalt gebietende Präsenz. 

Hör auf! Es liegt nahe, diese Geschichte so zu hören, als sei sie allein auf Putin gemünzt. Ihm allein gelte der Ruf: „Hör auf!“ Aber dann machen wir den gleichen Fehler, wie der Mann in dieser Geschichte. Er war sich ganz sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Weshalb sollte er seiner Eselin nachgeben? Könnte man nicht auch fragen: Welchen Sinn macht es, etwas so zu verteidigen, in diesem Fall die Heimat, dass die Art des Verteidigens genau das zerstört, was ich liebe? In Schutt und Asche legt? Für lange Zeit unbewohnbar macht? Wann war genau der Moment, wo beide Seiten versäumt haben, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten? Und müssen wir uns nicht fragen: Wenn Putin wie der große dunkle Engel uns den Weg versperrt, hören wir dann richtig hin? Worauf müssten wir hören – womit aufhören? So wie sein Weg des Krieges der oft geführte und erlittene Weg ist, genauso reflexhaft sind die Reaktionen: Selbstverteidigung als Eintreten in den Krieg und Hochfahren der Rüstung als erhoffte Abschreckung bei den Nachbarn. Ich weiß nicht, ob es anders sein kann. Doch die Fragen – finde ich – muss man stellen dürfen. Genauso oft übrigens sich selbst.

Denn wie oft wollen wir unseren Willen durchsetzen, hören auf Nichts und Niemanden und schon gar nicht auf den der Zeit innewohnenden Engel und was er uns zu sagen hätte. Wofür ist es Zeit? In der Welt, im Land, im Dorf, in der Familie, in mir selbst? Diese Fragen möchte ich Ihnen mitgeben, nun da – zumindest hier in diesen Gemeinden – mein Weg endet. Und ich wünsche Ihnen, meinen mir ja überwiegend unbekannten Lesern, die Kraft, sich dieser Frage zu stellen: Wofür ist es Zeit?

Ihre
Pfarrerin Silvia Koch-Barche

Beitrag von Silvia Koch-Barche