Kurz ist unser Leben. Kaum mehr als ein Wimpernschlag im Lauf der Zeiten.
Wozu ist es gut, dass es uns gibt? Wofür braucht es uns – dich und mich?
Wir können nicht um die Ecke gucken, sage ich manchmal und meine damit:
Ich habe keine Ahnung, wohin Zufälle, getroffene Entscheidungen oder Schicksalsschläge einen Menschen führen können. Was daraus werden kann.
Wenn wir Glück haben, können wir vielleicht am Lebensende sagen: es war gut so, wie es gekommen ist. Gut für mich.
Aber was unser Leben für die bedeuten wird, die nach uns kommen werden, diese Frage stellen wir uns kaum. Wie werden sie auf uns schauen und von uns erzählen?
Wie sehen sie die Verknüpfungen ihres Schicksals mit unserem Leben?
Von diesen Verknüpfungen erzählt die Geschichte der Ruth.
Zugetragen hat sie sich wohl vor 3000 Jahren. Weiter erzählt und ergänzt wird sie gut 600 Jahre später und nochmal gut 500 Jahre später schaut der Evangelist Matthäus auf sie und verknüpft ihr Leben mit dem Leben Jesu.
Doch schauen wir zuerst auf das Leben von Ruth. Sie gehörte zum Volk der Moabiter. Diese lebten in einem Landstrich östlich des Toten Meeres. Ruth heiratete einen Dazugezogenen, einen jüdischen Fremdling, Machlon mit Namen. Er war mit seinen Eltern Naomi und Elimelech und seinem Bruder Kiljon aus Bethlehem zugewandert. Dort herrschte Dürre und Hungersnot. Also hatte die Familie entschieden: wir gehen fort. So zogen sie fort und suchten in der Fremde ihr Auskommen.
Ruth heiratet in diese Familie ein. Auch der Bruder ihres Mannes heiratet eine einheimische Frau.
Dann geschieht das Unglück. Erst stirbt der Schwiegervater, dann ihr Mann und auch sein Bruder.
Nun sind die drei Frauen allein. Eine Katastrophe : Witwen ohne männliche Nachkommen, die für ihren Lebensunterhalt im Alter sorgen können. Witwen ohne männliche Angehörige, die sie im Alltag vor Unrecht und Gewalt schützen – zu jener Zeit ein Schicksal, das kaum schlimmer sein könnte.
Was sollen die drei Frauen also tun? Naomi entscheidet sich, wieder in ihre Heimat nach Bethlehem zurückzukehren. Zuflucht zu suchen bei der Sippschaft ihres verstorbenen Mannes. Die Hungersnot dort ist vorbei. Vielleicht wird man sie dort gnädig aufnehmen. Ihren Schwiegertöchtern rät sie: Bleibt in eurer Heimat. Kehrt zurück ins Haus eurer Mütter und sucht euch dort einen neuen Mann.
Doch Ruth liebt ihre Schwiegermutter und beharrt darauf, mit ihr zu gehen:
„Wohin du gehst, da will auch ich hingehen.
Wo du bleibst, da bleibe ich auch.
Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.
Wo du stirbst, da sterbe ich auch. Da will ich auch begraben werden.
Nur der Tod wird mich und dich scheiden.“
So bindet Ruth ihr Schicksal an das Leben ihrer Schwiegermutter Naomi.
Dass sie diese Herzensentscheidung nach Bethlehem, in Naomis Heimat führen wird, weiß sie.
Was aber daraus werden soll, davon hat sie noch keine Ahnung.
Naomi ist klug. Zur Familie ihres Mannes gehört Boas, ein angesehener und wohlhabender Mann in Bethlehem. Sie sorgt dafür, dass Boas Ruth zu Gesicht bekommt. Ruth ist schön.
In der Nacht schickt sie Ruth zu Boas, dass sie sich zu ihm lege und sein Herz in Liebe zu ihr entbrenne. Ihr Plan geht auf. Boas findet Mittel und Wege, um Ruth zur Frau nehmen zu können.
Übers Jahr wird Ruth einen Sohn zur Welt bringen. Nach alter Sitte wird ihn Naomi nehmen und auf ihren Schoss legen. Damit wird dieses Kind wie ein leiblicher Sohn zum Nach-kommen und Erben ihres verstorbenen Mannes. Damit wird er zum Garanten für sie und für Ruth, dass sie in ihrem Alter wohl versorgt sind.
Die Geschichte der Ruth endet mit dem Lobpreis der Frauen, die bei der Geburt anwesend waren. Sie danken Gott dafür, dass er das Schicksal von Ruth und Naomi zum Guten gewendet hat.
Sie wissen es noch nicht, können es noch nicht wissen, - aber der Erzähler ein halbes Jahrtausend später weiß es: Dieses Kind, Obed mit Namen, wird der Großvater von David sein. David, dem großen König.
Und nochmal gut 500 Jahre später schaut der Evangelist Matthäus auf diese Geschichte und sagt: Ohne Ruth gäbe es Jesus nicht. Sie gehört in die Geschichte, die zu ihm führt.
Zweitausend Jahre später lesen und hören wir die Geschichte, die irgendwie auch zu uns geführt hat.
Und ich frage mich:
Mit wem wird Gott unsere Geschichten verknüpfen? Für wen wird es gut sein, dass es uns gab, dich und mich?

